Peter Ulrich

Das fehlende Plus der UNO-Konferenz Rio+20. Wirtschaftsethische Anmerkungen zur (noch immer nicht) nachhaltigen Entwicklung

Abstract und Fragen der Redaktion: Vor einer Woche ging in Rio de Janeiro die Uno-Konferenz zur nachhaltigen Entwicklung zu Ende. Anders als bei Rio-Konferenz vor 20 Jahren ist das Ergebnis diesmal bescheiden ausgefallen. Verantwortlich hierfür, so Peter Ulrich, ist ein Denken in einseitigen Kategorien: Über Ziele und Mittel zu verhandeln sei zwar nötig, aber nicht hinreichend; darüber hinaus müsse man Rechte und Pflichten in den Blick nehmen und auf ihrer Grundlage verbindliche Regelungen treffen.

• Ist Rio+20 ein Misserfolg?

• Setzt nachhaltige Entwicklung die Anerkennung von Rechten und Pflichten voraus?

• Warum schreitet die nachhaltige Entwicklung trotz weltweiter Anerkennung von Menschenrechten nicht voran und wie kann diese Diskrepanz überwunden werden?__________________________________________________________________

Vom 20. bis 22. Juni 2012 fand in Rio de Janeiro die UNO-Gipfelkonferenz zur nachhaltigen Entwicklung statt. Der offizielle Kurztitel „Rio+20“ erinnerte daran, dass die Konferenz die seinerzeit pionierhaften Bemühungen der Rio-Konferenz von 1992 weiter vorantreiben wollte. Das ohnehin im Vergleich zu damals eher bescheidene Medienecho fiel wenig euphorisch aus, und dies nicht ohne gute Gründe.

Damals vor zwanzig Jahren ist die „Agenda 21“ verabschiedet worden, die ein globales Aktionsprogramm für eine nachhaltige Entwicklung entwarf und als Leitfaden zahlreicher internationaler Übereinkommen wirksame Beachtung fand. Umweltschutz, soziale Entwicklung und Wirtschaftswachstum wurden erstmals auf politischer Ebene miteinander in direkte Verbindung gebracht. Als begriffliches Verbindungsstück diente die bekannte Standarddefinition nachhaltiger Entwicklung, wie sie wenige Jahre zuvor, als Vorbereitung des Rio-Gipfels, die Brundtland-Kommission in ihrem Bericht „Our Common Future“ von 1987 formuliert hatte: „Nachhaltige Entwicklung ist Entwicklung, die die Bedürfnisse der Gegenwart befriedigt, ohne zur riskieren, dass künftige Generationen ihre eigenen Bedürfnisse nicht befriedigen können.“

Bei allem Respekt vor dem damals Geleisteten muss 20 Jahre danach ein ernüchterndes Zwischenfazit gezogen werden: Weder die angestrebte Entkoppelung von Wirtschaftswachstum und Umweltbelastung noch die Indienstnahme der Weltwirtschaft für die soziale Entwicklung, insbesondere die Überwindung von Hunger und Armut, ist seither wesentlich vorangekommen. Ganz im Gegensatz zum damaligen Optimismus haben sich sowohl die ökologischen als auch die sozialen Kosten des – gerade derzeit wieder – weltweit geforderten und geförderten Wirtschaftswachstums teilweise erheblich verschärft. 

Rio+20 wolle unter dem Stichwort „Green Economy“ die verfehlten Ziele noch einmal bekräftigen, sie erweitern und darüber hinaus internationale Institutionen etablieren, die sich ihnen permanent widmen, so u.a. einen Globalen Nachhaltigkeitsrat (UN Council for Sustainable Development). Gelungen ist gerade Letzteres kaum. Es fehlt der fast 50-seitigen offiziellen Abschlusserklärung „The Future We Want“ generell an Verbindlichkeit. Wohl ungeplant deutlich spricht der Titel des Schlussdokuments aus, dass es sich weitgehend nur um einen Wunschkatalog handelt, dem fast jedermann zustimmen kann, da kaum jemand konkret in die Pflicht genommen wird.

Grundlegend dafür wären mentale und machtpolitische Veränderungen, die weit tiefer greifen, als sie die an der Ri0+20-Konferenz akzentuierte Rhetorik einer „grünen Wirtschaft“ erwarten lässt. So nötig es selbstverständlich ist, ökologische und soziale Gesichtspunkte grundsätzlich in die wirtschaftlichen Entwicklungsziele und -strategien einzubeziehen, so wenig genügt es. Die Kategorien, die darüber hinaus in den Fokus der Aufmerksamkeit rücken sollten, sind die von Rechten und Pflichten. In der Terminologie der Ethik ausgedrückt, sind  deontologische Kategorien gefordert, in denen es – eben – um zwischenmenschliche (und zwischenstaatliche) Verbindlichkeiten geht. Demgegenüber wurde bisher unter der Flagge der Nachhaltigkeit vorwiegend in teleologischen Kategorien (von Zielen und Mitteln) gedacht: Natürliche Ressourcen werden als Mittel betrachtet, die benötigt werden im Hinblick auf das Ziel der Erstellung von Gütern zur Befriedigung humaner Bedürfnisse. Die oben zitierte Nachhaltigkeitsdefinition des Brundtland-Berichts repräsentiert genau dieses teleologische Denken. Und sie wurzelt in einem Vorverständnis, das dem konventionellen ökonomischen Denkmuster korrespondiert.

Worin besteht diese Korrespondenz? In einer arbeitsteiligen Marktwirtschaft wird der Zugang zu benötigten Ressourcen und gewünschten Gütern im Wesentlichen über die Verfügbarkeit von Kaufkraft ermöglicht. (Dies im Unterschied zu einer Subsistenzwirtschaft, wo diese Güter unmittelbar für den Eigenbedarf selbst hergestellt werden.) Der Zugang zu Möglichkeiten des Kaufkrafterwerbs auf funktionierenden Märkten (Güter-, Dienstleistungs- und Arbeitsmärkten) wird dementsprechend als zentral erachtet. Solange jedoch die gesellschaftliche Kaufkraftverteilung der Logik der Kapitalverwertung und der von ihr bestimmten Schaffung oder Vernichtung von Arbeitsplätzen folgt, mündet auch eine „grüne Wirtschaft“ in die wirtschaftspolitische Ausrichtung auf möglichst hohes und stetiges Wirtschaftswachstum, das nur so weit wie unbedingt nötig durch Kriterien der Umwelt- und Sozialverträglichkeit inklusive der Vorsorge für die legitimen Bedürfnisse unserer Nachkommen eingeschränkt wird. Was da als „möglich“ und was als „nötig“ erachtet wird, unterliegt daher realpolitisch nur allzu rasch dem Primat des alten ökonomischen Sachzwangdenkens.

In diesen Denkbahnen wird immerhin der mitwachsende Konflikt zwischen endlosem Wirtschaftswachstum und ökologischer Zukunftsverträglichkeit deutlich – die Klimadebatte lässt grüssen. Weiterhin ausgeblendet bleibt aber tendenziell das Spannungsverhältnis zwischen Wirtschaftswachstum und sozialer Entwicklung. In der immer noch vorherrschenden marktgläubigen Sichtweise wird ja das Wachstum fast fraglos als wichtigste Voraussetzung für die soziale Entwicklung eingestuft. Der inflationär verwendbare, aber im Kern qualitative Begriff der nachhaltigen Entwicklung wird damit latent zu einer euphemistischen (also verharmlosenden) Neubezeichnung des alten, nur marginal modifierten Ziels vorrangig quantitativen Wachstums. Zu den Voraussetzungen des Wachstums gehört im Rahmen einer globalisierten kapitalistischen Marktwirtschaft ja gerade die Aussicht auf hohe Renditen des investierten Kapitals auf der Basis tief gehaltener sozialer und ökologischer Kosten an attraktiven Wirtschaftsstandorten. Machtvolle privatwirtschaftliche Interessen stehen hinter den von ihnen nicht ganz zufällig seit Jahrzehnten mittels Deregulierung vorangetriebenen „Sachzwängen“ des internationalen Standortwettbewerbs. Sie sorgen immer wieder dafür, dass entsprechende „Anreize“ für das renditesuchende Investitionskapital verstärkt statt sozial und ökologisch eingebunden werden. Soziale Ausbeutung und Umweltzerstörung in frisch globalisierten und schwach regierten Entwicklungsländern sind die „normale“ Folge. Grund genug, dass Rio+20 sich kritisch diesen Machtzusammenhängen und ihrer Zivilisierung durch rechtswirksame Verbindlichkeiten, also durch deontologische Kategorien, hätte zuwenden müssen. 

Erst Rechte und Pflichten schaffen die nötigen Verbindlichkeiten, um die mächtigen privaten Kapitalverwertungsinteressen human-, sozial- und umweltverträglich einzubinden. Statt nur unverbindliche kollektive Ziele zu benennen, die erreicht werden sollten, definieren sie die für alle gültigen und verbindlichen Rahmenbedingungen, unter denen die einzelnen Akteure ihre je eigenen Ziele in legitimer Weise verfolgen dürfen. In politisch-liberaler Tradition verdienen dabei die grundlegenden Verbindlichkeiten ihre Kodifizierung als unantastbare ökologische und soziale Grundrechte der Menschen. Indem solche Grundrechte auf menschenwürdige Lebensbedingungen (für die heutigen und die zukünftigen Generationen) rechtsstaatlich bzw. völkerrechtlich verfasst und damit einklagbar werden, verändern sie – und das ist entscheidend – die Machtrelationen zwischen wirtschaftlichen Akteuren und (heute oder morgen) Betroffenen. So bilden sie den Kernbestand an Ordnungsprinzipien des fairen Zusammenlebens unter freien und gleichberechtigten Weltbürgern.  Daraus ergeben sich dann beispielsweise verbindliche Pflichten von (kapital-)mächtigen multi- oder transnationalen Firmen; diese sollten aus Gründen eines fairen Wettbewerbs auf die Einhaltung allgemeinverbindlicher Standards eines human-, sozial- und umweltverträglichen Geschäftsgebarens in allen Gastländern, in denen sie tätig sind, verpflichtet werden. Ein ausdefinierter und präzis erläuterter Orientierungsrahmen liegt dafür bereits vor in Form der vom UN-Sonderbeauftragten John G. Ruggie entwickelten und im Juni 2011 vom Menschenrechtsrat verabschiedeten „UN Guiding Principles for Business and Human Rights“. Deren nötige Umsetzung in nationales oder gar internationales Recht steht jedoch noch in den Sternen. Dem Schweizer Parlament liegt seit Juni 2012 die Petition „Recht ohne Grenzen“ vor, die genau in diese Richtung zielt. 

Gewiss: Wer die freie Wildbahn der globalisierten Renditejagd in gemeinwohlverträgliche Schranken weisen und damit die politisch-ökonomischen Machtverhältnisse verändern will, der lässt sich unweigerlich in einen schwierigen und langwierigen Kampf um Anerkennung von Rechten und Pflichten ein, der nicht ohne eine noch wesentlich zu stärkende kritische Weltöffentlichkeit zu gewinnen sein wird. Es wäre aber blauäugig zu meinen, dieser Machtkampf lasse sich umschiffen im harmloseren Gewässer der herkömmlichen Nachhaltigkeitsrhetorik – also in feierlichen Erklärungen gemeinsamer Entwicklungsziele, verbunden mit der Bereitstellung mehr oder weniger hinreichender finanzieller Ressourcen zu ihrer vermeintlich interessenneutralen sozialtechnischen Umsetzung (teleologischer Ansatz). In solchen Ziel-Mittel-Deklarationen werden die ungelösten, aber entscheidenden machtpolitischen Weichenstellungen einfach hinter einem rhetorischen Quasi-Konsens verschwiegen. Die Interessenkonflikte bleiben dann in aller Regel so lange verdeckt und ungelöst, bis man am Ende jeweils die Nichterreichung der Ziele konstatiert – und sie nur wieder durch neue politisch-rhetorisch deklarierte Ziele ersetzt, ohne die machtpolitischen Hindernisse ihrer Verwirklichung anzupacken…

Die vorgeschlagene Fokusverschiebung auf Rechte und Pflichten kann einerseits helfen, die Hintergründe des „nachhaltigen“ Versagens der bisherigen Bemühungen um nachhaltige Entwicklung etwas besser zu verstehen. Anderseits wirft sie auch ein klareres Licht auf weiterführende Ansatzpunkte im Kontext von Rio+20, wie sie die besten Fachleute der Entwicklungspolitik schon länger vertreten. Verwiesen sei beispielsweise auf das Dokument 22 der „alliance sud“ (Arbeitsgemeinschaft Swissaid, Fastenopfer, Brot für alle, Helvetas, Caritas und Heks) vom Juni 2012. Unter dem Titel „Rio+20: Plädoyer für eine zukunftsfähige Entwicklung“ formuliert dieses Dokument zahlreiche konkrete Ansatzpunkte nachhaltiger Entwicklung, von denen die Mehrzahl in die hier postulierte Kategorie verbindlich zu regelnder Rechte und Pflichten gehören. Postuliert werden die weltweite Etablierung wirtschaftlicher, sozialer und ökologischer Menschenrechte; die verbindliche Regelung der Menschenrechtspflichten und Umweltstandards für Unternehmen; die nachhaltigkeitsorientierte Regulierung der globalen Finanzmärkte sowie der Welthandelsregeln; international faire Steuersysteme mit richtig gestellten Anreizen für sozial- und umweltverträgliches Wirtschaften; verursachergerechte Finanzierung von Umwelt- und Klimaschutzmassnahmen, usf.

In diesem Lichte betrachtet, enthält die offizielle  Abschlusserklärung der Rio+20-Konferenz in ihrem Teil IV immerhin einige institutionelle Ansatzpunkte, die als organisatorischer Rahmen für die Etablierung von verbindlichen Rechten und Pflichten dienen könnten. Wenn der Weg zu einer  „Green Economy“ mehr als ein neues Schlagwort werden soll, dann dürfte der dort als nötig erkannte und befürwortete Einbezug der gesamten Zivilgesellschaft tatsächlich der wirksamste Hebel sein. An ihr wird es so oder so liegen, Verbindlichkeiten nachhaltigen Wirtschaftens beharrlich einzufordern.

Links:

Agenda 21: http://de.wikipedia.org/wiki/Agenda_21

Abschlusserklärung der Konferenz Rio+20: http://www.uncsd2012.org/content/documents/727The%20Future%20We%20Want%2019%20June%201230pm.pdf

UN Guiding Principles for Business and Human Rights: http://www.ohchr.org/documents/issues/business/A.HRC.17.31.pdf

Dokument 22 der alliance sud: http://www.alliancesud.ch/de/publikationen/dokument/manifest_rio20

Petition “Recht ohne Grenzen”: http://www.rechtohnegrenzen.ch/de/

 

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