Referenzmodell zur Automatisierung zwischenbetrieblicher Beschaffungsprozesse
ISBN
3-936947-00-7
Type
book
Date Issued
2002
Author(s)
Research Team
CDQ, IWI2
Abstract (De)
Zu den vorrangigen Zielen des Electronic Business gehört die Verbesserung zwischenbetrieblicher Geschäftsprozesse durch den Einsatz von Informationstechnologie zur Automatisierung des elektronischen Informationsaustauschs. Jedoch führten bisherige Engagements in diesem Bereich nicht zu den gewünschten Ergebnissen. Eine repräsentative Erhebung unter Firmen der deutschen Elektroindustrie zeigt, dass mehr als 80 Prozent der Unternehmen ihre Geschäftsprozesse immer noch als verbesserungswürdig ansehen. Zudem bewerten 95 Prozent der Unternehmen die Anzahl der manuellen Aktivitäten als zu hoch. Ein grosses Verbesserungspotenzial weisen hierbei die Beschaffungsprozesse auf, da sie die Schnittstelle zwischen einkaufenden Unternehmen und ihren Lieferanten bilden. Die Beschaffung gewinnt darüber hinaus weiter an Bedeutung, da viele Unternehmen dazu tendieren, ihre Beschaffungsaktivitäten von externen Partnern abwickeln zu lassen, beispielsweise über elektronische Marktplätze oder von Einkaufsdienstleistern.Ziel der vorliegenden Arbeit ist vor diesem Hintergrund die Entwicklung eines Referenzmodells zur Automatisierung zwischenbetrieblicher Beschaffungsprozesse. Die Entwicklung des Referenzmodells lässt sich dabei in mehrere Schritte untergliedern. Hierzu gehören die Identifikation der Anforderungen an zwischenbetriebliche Beschaffungsprozesse, die Evaluation bestehender Verfahren und Technologien, die Entwicklung einer Organisations-, einer Prozess- und einer Datensicht des Referenzmodells sowie die Erarbeitung einer Vorgehensweise zur Umsetzung des Modells und schliesslich seine Anwendung in praktischen Einsatzszenarien.Die spezifischen Anforderungen hinsichtlich zwischenbetrieblicher Beschaffungsprozesse hängen für jedes Unternehmen davon ab, welche Rolle es innerhalb der Prozesskette innehat. So kann zwischen einkaufenden Unternehmen und liefernden Unternehmen unterschieden werden, zwischen elektronischen Marktplätzen und Einkaufsdienstleistern. Elektronische Marktplätze bieten eine Plattform, um die Geschäftsprozesse von einkaufenden und liefernden Unternehmen miteinander zu verbinden, während Einkaufsdienstleister bestimmte Beschaffungsprozesse bzw. die gesamte Beschaffungsfunktion eines Unternehmens übernehmen. Generell zeigen die Ergebnisse der Anforderungsanalyse, dass zwischenbetriebliche Beschaffungsprozesse sehr flexibel sein müssen, für Menschen leicht verständlich und gleichzeitig automatisierbar. Darüber hinaus müssen sie auf offenen Standards basieren und eine hohen Grad an Interoperabilität aufweisen.Bei der Untersuchung des Stands der Wissenschaft und der Technik werden zunächst verschiedene Modellierungsverfahren gegenübergestellt. Die Verbindung zwischen der Modellierung und der Implementierung von Geschäftsprozessen wird durch den Einsatz von Prozessrahmenwerken (z.B. ebXML und RosettaNet) ermöglicht, welche aber gegenwärtig noch keinen ausreichenden Detaillierungsgrad aufweisen, um effektiv angewendet werden zu können. Basierend auf einem Prozessrahmenwerk spezifizieren Transaktionsstandards (z.B. xCBL, cXML und openTRANS) die Struktur und das Format von Geschäftsdokumenten, welche zwischen Unternehmen ausgetauscht werden. Ausserdem existieren bereits Referenzmodelle für die Beschaffung; diese fokussieren jedoch interne Aktivitäten oder weisen einen Mangel hinsichtlich der Funktionalität oder des Detaillierungsgrades auf. Um auch die Organisationssicht in die Analyse mit einzubeziehen, werden unterschiedliche Organisationsformen für den Einkauf und für den Vertrieb - das Gegenstück zum Einkauf- betrachtet.Die Ergebnisse sowohl der Anforderungsanalyse als auch der Untersuchung des Stands der Technik bilden die Basis für die Identifikation der Anforderungen an das Referenzmodell für die Automatisierung zwischenbetrieblicher Beschaffungsprozesse: Das Referenzmodell muss eine integrierte Sicht auf den Bereich der Beschaffung bieten, also Organisations-, Prozess- und Datenaspekte berücksichtigen. Es muss verständlich für Modellierer von Prozessen sein, aber gleichzeitig die Möglichkeit der Automatisierung der Prozesse bieten. Schliesslich muss das Referenzmodell offen für Standards und von einer soliden Interoperabilität, Flexibilität und Anwendbarkeit sein. Unter Berücksichtigung dieser Anforderungen werden drei verschiedene Sichten des Referenzmodells entwickelt: eine Organisationssicht, eine Prozesssicht und eine Datensicht.Die Organisationssicht wird für alle vier Organisationstypen modelliert, die in zwischenbetriebliche Beschaffungsprozesse involviert sein können, also für einkaufende Unternehmen, elektronische Marktplätze, Einkaufsdienstleister und liefernde Unternehmen. Sie besteht aus drei Ebenen, wobei die Organisationsebene als oberste Ebene den Organisationstyp bezeichnet. Die zweite Ebene wird durch Organisationseinheiten gebildet, die einer Organisation untergeordnet sind. Jede Organisationseinheit besteht aus verschiedenen Rollen, welche die dritte Organisationsebene bilden. Eine Rolle bildet durch die Verknüpfung mit Prozesskomponenten die Schnittstelle zur Prozesssicht.Prozesskomponenten sind Teil der Prozesssicht des Referenzmodells, die ebenfalls aus drei verschiedenen Ebenen besteht. Der Geschäftsprozess ist die oberste Ebene. Er startet mit einer Initialaktivität (z.B. die Identifikation der Nachfrage nach einem bestimmten Produkt) und endet mit der letzten Aktivität eines Beschaffungsprozesses (z.B. die Bezahlung). Um die Anforderungen hinsichtlich Flexibilität und Anwendbarkeit zu erfüllen, kann ein Geschäftsprozess in verschiedene Prozesskomponenten unterteilt werden. Das Referenzmodell stellt insgesamt 24 verschiedene Prozesskomponenten zur Verfügung, die flexibel miteinander verknüpft werden können, so dass die Anwendbarkeit des Referenzmodells in verschiedenen Einsatzszenarien sichergestellt wird. Die dritte Ebene der Prozesssicht wird von den Aktivitäten gebildet. Sie repräsentieren definierte Geschäftsfunktionalitäten, die nicht weiter unterteilt werden können. Prozesskomponenten sind mit verschiedenen Geschäftsdokumenten verknüpft, welche die Datensicht des Referenzmodells konstituieren. Hierfür wurde der Transaktionsstandard openTRANS entwickelt, der sieben verschiedene Geschäftsdokumente beinhaltet.Neben der Modellierung der drei Sichten liefert das Referenzmodell für die Automatisierung zwischenbetrieblicher Beschaffungsprozesse für jede Sicht Inhaltsmodelle gemäss der Spezifikation der Extensible Markup Language (XML). Die Inhaltsmodelle werden offen zu existierenden Standardisierungsinitiativen entwickelt. So ist die Organisationssicht des Referenzmodells überführbar in das Element businessEntity von UDDI, die Prozesssicht in das Business Process Specification Schema nach ebXML, und die Datensicht ist überfuhrbar in xCBL Version 3.5 und die SAP-SchnittstelleBAPI_SALESORDER_CREATEFROMDAT2.Um einen hohen Grad an Anwendbarkeit und Verständlichkeit des Referenzmodells zu gewährleisten, wird eine Vorgehensweise für die Umsetzung bereit gestellt. Die Vorgehensweise besteht aus vier Phasen, wobei die Analyse-Phase die Prozesse selbst, verschiedene Objekte der Beschaffung (z.B. Produkte, Rollen und Organisationseinheiten) und die beteiligten Informationssysteme untersucht. Danach folgt die Konzeption, bestehend aus dem Fachkonzept, dem DV-Konzept und einer Technologie-Evaluation. Die dritte Phase ist die Realisierungsphase, die die technische Realisierung, Tests, Change Management und Schulungen beinhaltet. Die vierte und letzte Phase ist schliesslich die Einführung des Referenzmodells.Diese Vorgehensweise wurde in vier Einsatzszenarien befolgt. Im ersten Fall wurde das Referenzmodell während der Konzeption in einem Optimierungsprojekt zur Verbesserung der zwischenbetrieblichen Beschaffungsprozesse bei einem international tätigen Hersteller von Elektrogeräten angewendet. Im zweiten Einsatzszenario, das sich mit der Entwicklung und Einführung sämtlicher Geschäftsprozesse eines Einkaufsdienstleisters beschäftigt, wurde das Referenzmodell über alle vier oben beschriebenen Phasen hinweg angewendet. Der dritte Fall ist charakterisiert durch die Analyse und die Konzeption bei der Entwicklung eines elektronischen Marktplatzes für die Automatisierungsindustrie. Der vierte Fall schliesslich befasst sich mit der Entwicklung von Beschaffungsprozessen für Händler von handgeführten Elektrowerkzeugen. Auch hier wurde das Referenzmodell in allen vier Phasen angewendet.Den Einsatzszenarien folgt eine Evaluation des Referenzmodells unter Berücksichtigung der eingangs beschriebenen Anforderungen. Die Evaluation zeigt, dass das Referenzmodell die Kriterien der Ganzheitlichkeit, Verständlichkeit, Flexibilität und Offenheit gut erfüllt, während hinsichtlich der Interoperabilität Verbesserungspotenziale festzustellen sind, weil trotz der Möglichkeiten der Vorkonfigurierung bestimmter Prozesskomponenten in einigen Fällen wesentliche Veränderungen an vorhandenen Softwareprodukten notwendig sind.Die Arbeit schliesst mit einer Zusammenfassung der Ergebnisse und liefert einen Ausblick auf zukünftige Entwicklungen und Forschungsgebiete.
Language
German
HSG Classification
not classified
Refereed
No
Publisher
Jost-Jetter
Publisher place
Heimsheim
Pages
178
Subject(s)
Division(s)
Eprints ID
67819