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«Wessen Interessen?» Prinzip und Praxis der Sozialpartnerschaft im Wandel des Schweizer Bankenwesens
Type
fundamental research project
Start Date
01 September 2011
End Date
31 August 2014
Status
completed
Keywords
Prinzip und Praxis der Sozialpartnerschaft im Wandel des Schweizer Bankenwesens
Description
Forschungsfrage und Hintergrund
Spätestens seit der Finanzkrise der Jahre 2007−2010 und ihrer Fortwirkungen in einer grundlegenden Vertrauenskrise des zeitgenössischen Bankenwesens erlebt die Frage nach Gedanke und Realität der sog. «Sozialpartnerschaft» im Kontext von Personalmanagement und Unternehmenskultur der Banken eine Renaissance. Dieses Prinzip war bis in die 1990er Jahre, wo es innert kürzester Zeit zu einer tiefgehenden und nachhaltigen Umstrukturierung des Schweizer Bankenwesens insgesamt, speziell jedoch bei den beiden Grossbanken UBS und CS kam, ein selbstverständlicher und zentraler Bestandteil der vorherr-schenden Sicht des Arbeitgeber-Arbeitnehmer-Verhältnisses und beruhte auf einem breiten gesellschaft-lichen Konsensus. Dieses Prinzip stellte gewissermassen einen archimedischen Punkt im sozialen Gefüge der Banken dar, von dem aus sich eine ganze Palette an grundlegenden Spielregeln ableitete. Der Gedanke der Sozialpartnerschaft ging Hand in Hand mit dem Prinzip der Tarifpartnerschaft, strukturierte die eingespielten Formen der Interessensvertretung des Personals und war bei unternehmerischen Entschei-dungen sozusagen allgegenwärtig.
Es ist gewiss nicht übertrieben, hier einen zentralen Faktor der hohen Identifikation und Loyalität, des ausgeprägten Vertrauens und des berufsständischen Bewusstseins der Bankenmitarbeiter zu sehen, welche bis zum Moment der radikalen Umorientierung der Unternehmenspolitik vorherrschten und auch die hohe öffentliche Anerkennung prägten, die diesen «Traditionsunternehmen» zugute kam.
Die Mitte der 1990er Jahre einsetzende Redefinition und Repositionierung der Schweizer Grossbanken als «global player» und internationaler Finanzdienstleister ging mit einem rapiden und massiven Wandel der Unternehmenspolitik und -kultur einher, welcher sich in einer deutlichen Schwächung dieses Grundkonsensus niederschlug: den Blick auf den Weltmarkt gerichtet, die traditionellen unternehmeri-schen Werte jenen der Börse unterstellend und sich beim Management im Allgemeinen und Personalma-nagement im Besonderen an der in einer zunehmend globalisierten Bankenwelt tonangebenden US-amerikanischen Unternehmensphilosophie orientierend durchlebten die Schweizer Grossbanken grund-legende Metamorphosen.
Nun ist es innerhalb der modernen Sozialwissenschaften, zu denen auch die Wirtschaftswissenschaften zählen (auch wenn deren Vertreter das allzu oft zu vergessen scheinen!), ein Gemeinplatz, das rascher und rapider Wandel gesellschaftlicher Normen und Spielregeln für die betroffenen Menschen, also zuallererst die Mitarbeiter dieser Banken, desorientierend und destabilisierend wirkt. Ein bisher vorherrschendes und weitgehend konsensuales Wertesystem, gut eingespielte Verhaltensregeln im Verhältnis Arbeitgeber-Arbeitnehmer und ein damit einher gehendes Grundvertrauen, werden hier erschüttert bzw. geraten in eine Krise.
Die noch die traditionelle Unternehmenskultur in ihrem Habitus und Berufsethos «verkörpernden» Mit-arbeiter sehen sich einem für sie fremden und befremdlichen Ensemble an in kürzester Frist oktroyierten neuen Spielregeln ausgesetzt und können deren Sinn und Funktion umso weniger nachvollziehen und mittragen, als dieser radikale Strukturwandel «top down» dekretiert wurde und schon als solcher der Idee der Sozialpartnerschaft Hohn spricht. Was aber war seitdem das Schicksal dieses für die Schweizer Bankenwelt so prägenden Grundprinzips der Sozialpartnerschaft? Wohin hat es sich entwickelt? Kann man überhaupt noch mit einem solchen Begriff die Wirklichkeit der zeitgenössischen Arbeitswelt «Bank» adäquat beschreiben oder gehört dieses Konzept längst in die Rumpelkammer der Geschichte? Und wenn ja, was ist nun an seine Stelle getreten und strukturiert das Verhältnis Arbeitgeber-Arbeitnehmer im Bankenwesen?
Dieser Frage wollen wir im Rahmen eines soziologischen Forschungsvorhabens nachgehen, indem wir uns bei der Analyse des Wandels der Unternehmenskultur nicht auf die Ebene der top-down-Perspektive der Unternehmensleitung, sondern auf die bottom-up-Sicht der Mitarbeitenden begeben und die von ihnen erfahrenen Veränderungen ihrer Arbeitswelt ins Zentrum unseres Erkenntnisinteresses rücken.
Teilnehmende Objektivierung: von der MitarbeiterInnensprecherin zur ethnographischen Beobachterin einer Schweizer Grossbank.
Das besondere Interesse des hier skizzierten Forschungsprojektes liegt nicht zuletzt im Umstand, dass in der Person der langjährigen Mitarbeitersprecherin der zu erforschenden Bank eine Projektmitarbeiterin gewonnen werden konnte, die mit dem Forschungsfeld aus der Binnenperspektive aufs Beste vertraut ist und geradezu als ethnographische Expertin angesehen werden kann, die nicht nur aufgrund ihrer per-sönlichen Bekanntschaft mit einer Vielzahl an relevanten Gesprächspartnern einen privilegierten Zugang zum Untersuchungsfeld mitbringt, sondern gerade auch aufgrund ihrer bisherigen Position und Funktion mit der hier gestellten Forschungsfrage in der Alltagspraxis des Unternehmens direkt befasst war und hier auf eine langjährige berufliche Erfahrung mit relevanten Sachfragen zurückblicken und -greifen kann. Hierbei finden sich in ihren ausführlichen persönlichen Notizen wie auch offiziellen Berichten eine wahre Fundgrube an relevanten Informationen, die direkt in die Forschung einfliessen können, ähnlich der ethnographischen Tagebücher, die von einigen Vertretern der modernen Sozialwissenschaften während jahrelanger Feldforschungen akribisch geführt wurden, um später einer systematischen Auswertung unterworfen zu werden.
Aufgrund dieser Doppelrolle als langjährige Akteurin der Bank mit hohem persönlichen Engagement in den bei dieser Forschung betroffenen Angelegenheiten der Unternehmenspolitik und Forscherin, von der eine kritisch-distanzierte Objektivierung eben dieser persönlich erfahrenen Situationen und Konstellationen erwartet wird, müssen spezifische Vorkehrungen der erkenntnistheoretischen Wachsamkeit berücksichtigt werden, um zu einem ausgewogenen Verhältnis von Engagement und Distanzierung zu gelangen. So wird etwa der Leiter des Projektes verschiedene qualitative Interviews mit der Forschungsmitarbeiterin führen, um ihrer eigenen Rolle als in das Forschungsfeld involvierte Akteurin Rechnung zu tragen und diese als Ressource ethnographischer Vertrautheit reflektiert nutzbar zu machen.
Diese Vertrautheit spielt auch in der bereits erwähnten persönlichen Bekanntschaft mit einer Vielzahl an MitarbeiterInnen dieser Bank eine zentrale Rolle und soll in Form ausführlicher qualitativer Interviews mit einer begrenzten Zahl an weiteren langjährigen MitarbeiterInnen der Bank zur Geltung kommen. Gedacht wird an etwa 15 bis 20 Gespräche von etwa einstündiger Dauer mit kürzlich aus Altersgründen aus der Bank ausgeschiedenen MitarbeiterInnen. Diese Forschungsstrategie erklärt sich daraus, dass diese Probanden auf eine biographische Flugbahn zurückblicken können, die den gesamten Zeitraum des Unternehmenswandels umfasst, also idealer Weise von der Zeit der frühen 1990er Jahre über die gesamte Phase der Transformationen bis hin zur jüngsten Finanzkrise und den sie betreffenden Bewältigungsver-suchen führt.
Hier hätten wir es demnach mit Zeitzeugen zu tun, die aus eigener Erfahrung und Anschauung über den von ihnen je subjektiv erfahrenen und dennoch objektiv stattgefundenen Unternehmenswandel Auskunft geben können. Es geht hier bewusst und gezielt um die subjektive Dimension dieser Erfahrungen, also auch um normative Stellungnahmen und Bewertungen, Ausdruck von Zustimmung und Ablehnung, Zufriedenheit wie auch Frustration und Leiden.
Vorgehen und Forschungsstrategie
In einem ersten Schritt wird eine soziohistorische Betrachtung des Wandels der Bankenwelt in der Schweiz seit den 1990er Jahren, insbesondere in Bezug auf das Personalmanagement, unternommen. Gefragt wird konkret, wie sich das Binnensystem der Bank, seine organisatorischen Strukturen und das alltägliche Verhalten der Vertreter verschiedener Akteursgruppen verändert haben. Hierbei stützen wir uns zentral auf mündliche Quellen und betreiben mittels verstehender Interviews mit langjährigen Banken-Mitarbeitern eine Art oral history der Entwicklung dieser Institution seit Mitte der 90er Jahren. Hierbei geht es insbesondere darum zu fragen, wie sich Veränderungen unternehmerischer Strategien, konkreter Entscheidungen und erlebter Situationen an der Schnittstelle zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern in den subjektiven Erfahrungen der Betroffenen widerspiegeln und wie sie diese Transformationen im Hinblick auf ihr Bild und Verständnis des Unternehmens und der in ihm gelebten Sozialpartnerschaft beurteilen und bewerten. Gleichzeitig wird ein repräsentativer state of the art dieses Forschungsfeldes «Sozialpartnerschaft in der Bankenwelt» mittels einer systematischen Sichtung und Auswertung der internationalen Literatur zum Thema erstellt, der als Hintergrundsfolie bei der Analyse und Einschätzung der eigenen Befunde diesen soll.
Erkenntisinteressen des Vorhabens
Das hier skizzierte Projekt situiert sich hinsichtlich seiner Erkenntnisinteressen an der Schnittstelle von angewandter Forschung und grundlagenwissenschaftlichen Fragen. Letztere betreffen einen weitgehend unterforschten, um nicht zu sagen unerforschten Bereich des Schweizer Wirtschafts- und Gesellschaftsle-bens der letzten zwei Jahrzehnte. Nach der im Projekt verfolgten Forschungshypothese ist der in der analysierten Bank feststellbare soziökonomische Wandel von geradezu exemplarischer und Richtung weisender Bedeutung für die gesamte Dynamik gesellschaftlicher und unternehmerischer Transformati-onsprozesse in der Schweiz wie auch in anderen postindustriellen Gesellschaften.
Ein besonderes Augenmerk gilt hierbei der Frage nach den Grundlagen der insbesondere bis in die 1990er Jahre geradezu sprichwörtlichen Stabilität des Finanzmarktes Schweiz und der Bedeutung der für ihn kennzeichnenden Formen der Sozialpartnerschaft für dessen spezifische corporate identity dieser Insti-tutionen. Die durchzuführenden qualitativen Interviews zielen darauf ab, die Einstellungen der Mitarbei-terInnen der Bank zu ihrem Arbeitgeber, deren Beurteilungen der spezifischen Qualität ihrer Bindung ans Unternehmen, die damit zusammen hängende Arbeitsmotivation sowie insbesondere die Merkmale ihres jeweiligen Berufsethos, d.h. des Ensemble wertbasierter und wertorientierter Beziehungen heraus zu filtern und idealtypisch zu verdichten. Gleichzeitig wird es über den gewählten Zugang über subjektive Erfahrungsberichte und Zeugnisse aber auch möglich, Erscheinungen der "Entzauberung" im Verhältnis zum Unternehmen und der Identifikation mit ihm zu erfassen und Prozesse der Erosion von bisher geteilten Überzeugungen und Werten zu identifizieren und zu analysieren, insbesondere was die Frage des Vertrauens in den Arbeitgeber betrifft.
Die hier zu leistende "Radiographie" bzw. Diagnose der Befindlichkeiten der Arbeitnehmer dürfte gerade für eine realistische Personalpolitik von Bedeutung, welche um die Einstellungen und Motivationslagen, die Wertmassstäbe und Erwartungen der Mitarbeiter weiss und sie reflexiv und konstruktiv in ihren Strategien zu berücksichtigen weiss. Neben dem bei dieser Forschung ebenfalls zentralen grundlagen-wissenschaftlichen Interesse an der anvisierten gesellschaftlichen Frage, sähen wir in der Verfolgung dieses praxisorientierten Erkenntnisinteresses einen wichtigen Beitrag zur Stärkung der Sozialpartner-schaft im Unternehmen.
Spätestens seit der Finanzkrise der Jahre 2007−2010 und ihrer Fortwirkungen in einer grundlegenden Vertrauenskrise des zeitgenössischen Bankenwesens erlebt die Frage nach Gedanke und Realität der sog. «Sozialpartnerschaft» im Kontext von Personalmanagement und Unternehmenskultur der Banken eine Renaissance. Dieses Prinzip war bis in die 1990er Jahre, wo es innert kürzester Zeit zu einer tiefgehenden und nachhaltigen Umstrukturierung des Schweizer Bankenwesens insgesamt, speziell jedoch bei den beiden Grossbanken UBS und CS kam, ein selbstverständlicher und zentraler Bestandteil der vorherr-schenden Sicht des Arbeitgeber-Arbeitnehmer-Verhältnisses und beruhte auf einem breiten gesellschaft-lichen Konsensus. Dieses Prinzip stellte gewissermassen einen archimedischen Punkt im sozialen Gefüge der Banken dar, von dem aus sich eine ganze Palette an grundlegenden Spielregeln ableitete. Der Gedanke der Sozialpartnerschaft ging Hand in Hand mit dem Prinzip der Tarifpartnerschaft, strukturierte die eingespielten Formen der Interessensvertretung des Personals und war bei unternehmerischen Entschei-dungen sozusagen allgegenwärtig.
Es ist gewiss nicht übertrieben, hier einen zentralen Faktor der hohen Identifikation und Loyalität, des ausgeprägten Vertrauens und des berufsständischen Bewusstseins der Bankenmitarbeiter zu sehen, welche bis zum Moment der radikalen Umorientierung der Unternehmenspolitik vorherrschten und auch die hohe öffentliche Anerkennung prägten, die diesen «Traditionsunternehmen» zugute kam.
Die Mitte der 1990er Jahre einsetzende Redefinition und Repositionierung der Schweizer Grossbanken als «global player» und internationaler Finanzdienstleister ging mit einem rapiden und massiven Wandel der Unternehmenspolitik und -kultur einher, welcher sich in einer deutlichen Schwächung dieses Grundkonsensus niederschlug: den Blick auf den Weltmarkt gerichtet, die traditionellen unternehmeri-schen Werte jenen der Börse unterstellend und sich beim Management im Allgemeinen und Personalma-nagement im Besonderen an der in einer zunehmend globalisierten Bankenwelt tonangebenden US-amerikanischen Unternehmensphilosophie orientierend durchlebten die Schweizer Grossbanken grund-legende Metamorphosen.
Nun ist es innerhalb der modernen Sozialwissenschaften, zu denen auch die Wirtschaftswissenschaften zählen (auch wenn deren Vertreter das allzu oft zu vergessen scheinen!), ein Gemeinplatz, das rascher und rapider Wandel gesellschaftlicher Normen und Spielregeln für die betroffenen Menschen, also zuallererst die Mitarbeiter dieser Banken, desorientierend und destabilisierend wirkt. Ein bisher vorherrschendes und weitgehend konsensuales Wertesystem, gut eingespielte Verhaltensregeln im Verhältnis Arbeitgeber-Arbeitnehmer und ein damit einher gehendes Grundvertrauen, werden hier erschüttert bzw. geraten in eine Krise.
Die noch die traditionelle Unternehmenskultur in ihrem Habitus und Berufsethos «verkörpernden» Mit-arbeiter sehen sich einem für sie fremden und befremdlichen Ensemble an in kürzester Frist oktroyierten neuen Spielregeln ausgesetzt und können deren Sinn und Funktion umso weniger nachvollziehen und mittragen, als dieser radikale Strukturwandel «top down» dekretiert wurde und schon als solcher der Idee der Sozialpartnerschaft Hohn spricht. Was aber war seitdem das Schicksal dieses für die Schweizer Bankenwelt so prägenden Grundprinzips der Sozialpartnerschaft? Wohin hat es sich entwickelt? Kann man überhaupt noch mit einem solchen Begriff die Wirklichkeit der zeitgenössischen Arbeitswelt «Bank» adäquat beschreiben oder gehört dieses Konzept längst in die Rumpelkammer der Geschichte? Und wenn ja, was ist nun an seine Stelle getreten und strukturiert das Verhältnis Arbeitgeber-Arbeitnehmer im Bankenwesen?
Dieser Frage wollen wir im Rahmen eines soziologischen Forschungsvorhabens nachgehen, indem wir uns bei der Analyse des Wandels der Unternehmenskultur nicht auf die Ebene der top-down-Perspektive der Unternehmensleitung, sondern auf die bottom-up-Sicht der Mitarbeitenden begeben und die von ihnen erfahrenen Veränderungen ihrer Arbeitswelt ins Zentrum unseres Erkenntnisinteresses rücken.
Teilnehmende Objektivierung: von der MitarbeiterInnensprecherin zur ethnographischen Beobachterin einer Schweizer Grossbank.
Das besondere Interesse des hier skizzierten Forschungsprojektes liegt nicht zuletzt im Umstand, dass in der Person der langjährigen Mitarbeitersprecherin der zu erforschenden Bank eine Projektmitarbeiterin gewonnen werden konnte, die mit dem Forschungsfeld aus der Binnenperspektive aufs Beste vertraut ist und geradezu als ethnographische Expertin angesehen werden kann, die nicht nur aufgrund ihrer per-sönlichen Bekanntschaft mit einer Vielzahl an relevanten Gesprächspartnern einen privilegierten Zugang zum Untersuchungsfeld mitbringt, sondern gerade auch aufgrund ihrer bisherigen Position und Funktion mit der hier gestellten Forschungsfrage in der Alltagspraxis des Unternehmens direkt befasst war und hier auf eine langjährige berufliche Erfahrung mit relevanten Sachfragen zurückblicken und -greifen kann. Hierbei finden sich in ihren ausführlichen persönlichen Notizen wie auch offiziellen Berichten eine wahre Fundgrube an relevanten Informationen, die direkt in die Forschung einfliessen können, ähnlich der ethnographischen Tagebücher, die von einigen Vertretern der modernen Sozialwissenschaften während jahrelanger Feldforschungen akribisch geführt wurden, um später einer systematischen Auswertung unterworfen zu werden.
Aufgrund dieser Doppelrolle als langjährige Akteurin der Bank mit hohem persönlichen Engagement in den bei dieser Forschung betroffenen Angelegenheiten der Unternehmenspolitik und Forscherin, von der eine kritisch-distanzierte Objektivierung eben dieser persönlich erfahrenen Situationen und Konstellationen erwartet wird, müssen spezifische Vorkehrungen der erkenntnistheoretischen Wachsamkeit berücksichtigt werden, um zu einem ausgewogenen Verhältnis von Engagement und Distanzierung zu gelangen. So wird etwa der Leiter des Projektes verschiedene qualitative Interviews mit der Forschungsmitarbeiterin führen, um ihrer eigenen Rolle als in das Forschungsfeld involvierte Akteurin Rechnung zu tragen und diese als Ressource ethnographischer Vertrautheit reflektiert nutzbar zu machen.
Diese Vertrautheit spielt auch in der bereits erwähnten persönlichen Bekanntschaft mit einer Vielzahl an MitarbeiterInnen dieser Bank eine zentrale Rolle und soll in Form ausführlicher qualitativer Interviews mit einer begrenzten Zahl an weiteren langjährigen MitarbeiterInnen der Bank zur Geltung kommen. Gedacht wird an etwa 15 bis 20 Gespräche von etwa einstündiger Dauer mit kürzlich aus Altersgründen aus der Bank ausgeschiedenen MitarbeiterInnen. Diese Forschungsstrategie erklärt sich daraus, dass diese Probanden auf eine biographische Flugbahn zurückblicken können, die den gesamten Zeitraum des Unternehmenswandels umfasst, also idealer Weise von der Zeit der frühen 1990er Jahre über die gesamte Phase der Transformationen bis hin zur jüngsten Finanzkrise und den sie betreffenden Bewältigungsver-suchen führt.
Hier hätten wir es demnach mit Zeitzeugen zu tun, die aus eigener Erfahrung und Anschauung über den von ihnen je subjektiv erfahrenen und dennoch objektiv stattgefundenen Unternehmenswandel Auskunft geben können. Es geht hier bewusst und gezielt um die subjektive Dimension dieser Erfahrungen, also auch um normative Stellungnahmen und Bewertungen, Ausdruck von Zustimmung und Ablehnung, Zufriedenheit wie auch Frustration und Leiden.
Vorgehen und Forschungsstrategie
In einem ersten Schritt wird eine soziohistorische Betrachtung des Wandels der Bankenwelt in der Schweiz seit den 1990er Jahren, insbesondere in Bezug auf das Personalmanagement, unternommen. Gefragt wird konkret, wie sich das Binnensystem der Bank, seine organisatorischen Strukturen und das alltägliche Verhalten der Vertreter verschiedener Akteursgruppen verändert haben. Hierbei stützen wir uns zentral auf mündliche Quellen und betreiben mittels verstehender Interviews mit langjährigen Banken-Mitarbeitern eine Art oral history der Entwicklung dieser Institution seit Mitte der 90er Jahren. Hierbei geht es insbesondere darum zu fragen, wie sich Veränderungen unternehmerischer Strategien, konkreter Entscheidungen und erlebter Situationen an der Schnittstelle zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern in den subjektiven Erfahrungen der Betroffenen widerspiegeln und wie sie diese Transformationen im Hinblick auf ihr Bild und Verständnis des Unternehmens und der in ihm gelebten Sozialpartnerschaft beurteilen und bewerten. Gleichzeitig wird ein repräsentativer state of the art dieses Forschungsfeldes «Sozialpartnerschaft in der Bankenwelt» mittels einer systematischen Sichtung und Auswertung der internationalen Literatur zum Thema erstellt, der als Hintergrundsfolie bei der Analyse und Einschätzung der eigenen Befunde diesen soll.
Erkenntisinteressen des Vorhabens
Das hier skizzierte Projekt situiert sich hinsichtlich seiner Erkenntnisinteressen an der Schnittstelle von angewandter Forschung und grundlagenwissenschaftlichen Fragen. Letztere betreffen einen weitgehend unterforschten, um nicht zu sagen unerforschten Bereich des Schweizer Wirtschafts- und Gesellschaftsle-bens der letzten zwei Jahrzehnte. Nach der im Projekt verfolgten Forschungshypothese ist der in der analysierten Bank feststellbare soziökonomische Wandel von geradezu exemplarischer und Richtung weisender Bedeutung für die gesamte Dynamik gesellschaftlicher und unternehmerischer Transformati-onsprozesse in der Schweiz wie auch in anderen postindustriellen Gesellschaften.
Ein besonderes Augenmerk gilt hierbei der Frage nach den Grundlagen der insbesondere bis in die 1990er Jahre geradezu sprichwörtlichen Stabilität des Finanzmarktes Schweiz und der Bedeutung der für ihn kennzeichnenden Formen der Sozialpartnerschaft für dessen spezifische corporate identity dieser Insti-tutionen. Die durchzuführenden qualitativen Interviews zielen darauf ab, die Einstellungen der Mitarbei-terInnen der Bank zu ihrem Arbeitgeber, deren Beurteilungen der spezifischen Qualität ihrer Bindung ans Unternehmen, die damit zusammen hängende Arbeitsmotivation sowie insbesondere die Merkmale ihres jeweiligen Berufsethos, d.h. des Ensemble wertbasierter und wertorientierter Beziehungen heraus zu filtern und idealtypisch zu verdichten. Gleichzeitig wird es über den gewählten Zugang über subjektive Erfahrungsberichte und Zeugnisse aber auch möglich, Erscheinungen der "Entzauberung" im Verhältnis zum Unternehmen und der Identifikation mit ihm zu erfassen und Prozesse der Erosion von bisher geteilten Überzeugungen und Werten zu identifizieren und zu analysieren, insbesondere was die Frage des Vertrauens in den Arbeitgeber betrifft.
Die hier zu leistende "Radiographie" bzw. Diagnose der Befindlichkeiten der Arbeitnehmer dürfte gerade für eine realistische Personalpolitik von Bedeutung, welche um die Einstellungen und Motivationslagen, die Wertmassstäbe und Erwartungen der Mitarbeiter weiss und sie reflexiv und konstruktiv in ihren Strategien zu berücksichtigen weiss. Neben dem bei dieser Forschung ebenfalls zentralen grundlagen-wissenschaftlichen Interesse an der anvisierten gesellschaftlichen Frage, sähen wir in der Verfolgung dieses praxisorientierten Erkenntnisinteresses einen wichtigen Beitrag zur Stärkung der Sozialpartner-schaft im Unternehmen.
Leader contributor(s)
Member contributor(s)
von Planta, Elli
Funder(s)
Topic(s)
Prinzip und Praxis der Sozialpartnerschaft im Wandel des Schweizer Bankenwesens
Method(s)
soziohistorische Betrachtung
mündliche Quellen
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