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Wirtschaftsethik : „Es gibt eine Alternative zur Gewinnmaximierung“

  • Aktualisiert am

Peter Ulrich in der Bibliothek der Universität St. Gallen in der Schweiz Bild: Andreas Müller

In einer neuen Enzyklika prangert der Papst das Profitstreben an. Die Sonntagszeitung hat darüber mit dem Wirtschaftsethiker Peter Ulrich gesprochen. Er verteidigt den Heiligen Vater, kritisiert die Manager und fordert Ökonomie für Fünftklässler.

          5 Min.

          In einer neuen Enzyklika prangert der Papst das Profitstreben an. Die Sonntagszeitung hat darüber mit dem Wirtschaftsethiker Peter Ulrich gesprochen. Er verteidigt den Heiligen Vater, kritisiert die Manager und fordert Ökonomie für Fünftklässler.

          Professor Ulrich, der Papst hat in seiner neuen Enzyklika geschrieben, mit Geld sollte nicht spekuliert werden. Ist das denn wirklich schlecht?

          Generell nicht. Wenn die Spekulationsmentalität sich aber von jeder Rücksichtnahme auf lebenspraktische Folgen ablöst, dann ist das unverantwortlich.

          Zudem fordert Benedikt als Lehre aus der Krise, nicht möglichst hohe kurzfristige Gewinne anzustreben, sondern auf den langfristigen Nutzen einer Investition für die Realwirtschaft zu achten. Was heißt das?

          Im Grunde verlangt er, die Finanzwirtschaft, also alle Banken und Investmentgesellschaften, wieder in den Dienst der Volks- und Weltwirtschaft zu stellen und damit ein Verhältnis umzukehren, dass maßgeblich zu den aktuellen Problemen beigetragen hat.

          ..., die, wenn sich sogar der Papst explizit zur Krise äußert, offenbar auch die Moral umfassen.

          Gewiss. Versucht man, diese Krise auf den zentralen Punkt zu bringen, dann drückt sich in ihr wohl die Spitze eines allzu radikal verselbständigten Gelddenkens aus.

          Hat das etwas mit den komplizierten Finanzprodukten zu tun, die viele Käufer offenbar nicht verstanden haben?

          Solche sogenannten Finanzprodukte - im Grunde wird da ja nichts produziert - sind ein typisches Symptom dieser Gewinnmaximierungsdoktrin. In ihnen wurden Risiken verschleiert, verbrieft und rund um die Welt verstreut. Das Wesen dieser Produkte besteht letztendlich darin, Geld aus Geld zu machen, ohne den lästigen Umweg über die Realwirtschaft zu gehen.

          Und das ist schlecht?

          Das Prinzip, mehr Geld und immer mehr Geld mit fast beliebigen Mitteln zu machen, ist nicht die Lösung, sondern der Kern des Problems.

          Aber in Wirtschaftsbüchern steht, wenn jeder versucht, den größtmöglichen Reibach zu machen, und sei es durch das Anlegen von Geld, muss das für alle gut sein.

          Wir beginnen gerade zu bemerken, dass sich hinter dieser Harmonievorstellung eine Ideologie verbirgt, die versucht, Partikularinteressen als das Gemeinwohl oder den „Wohlstand für alle“ zu verkaufen.

          Was meinen Sie damit?

          Dass einige von der Marktwirtschaft besonders profitieren und gleichzeitig erzählen, wir würden alle etwas davon haben.

          Die hohen Renditen der Banken haben aber zum Wachstum vor der Krise beigetragen und damit den allgemeinen Wohlstand erhöht, was gut ist.

          Da widerspreche ich. Die hohen Renditen sind eine Folge eindimensionalen Denkens. Gewinnmaximierung heißt ja, dass ich alle damit konfligierenden Wertgesichtspunkte dieser einen Dimension unterordne, ohne Rücksicht auf die Folgen für die betroffenen Menschen. Allzu lang wurden in einfältiger Weise die Milliardengewinne der Großbanken bejubelt und niemand wollte wirklich wissen, wie sie zustande kamen.

          Gibt es zur Gewinnmaximierung eine Alternative?

          Ich denke schon. Eine faire, ausgewogene Wirtschaftsweise würde immer damit beginnen zu fragen, welche legitimen Ansprüche von wirtschaftlichem Handeln betroffen sind.

          Das mahnt auch der Papst an. Er kritisiert, es gebe eine „kosmopolitische Klasse von Managern, die sich oft nur nach den Anweisungen der Hauptaktionäre richten“.

          Ja, und er schreibt zu Recht, dass gute Unternehmensführung etwa auch auf Arbeitnehmer, Kunden und Zulieferer Rücksicht nehmen muss.

          Ist es rücksichtslos, wenn ein Bankmanager 25 Prozent Rendite für sein Institut vorgibt?

          Ich halte dieses Ziel in der Tat für angreifbar. Zum Minimalbestand an Einsichten gehört doch, dass ein maßloses Renditestreben eine wesentliche mentale Ursache des Schlamassels ist. Insofern ist es ein fatales Signal, wenn bereits wieder Zahlen wie 25 Prozent Rendite als verbindliche einzige Zielgröße des angestrebten Unternehmenserfolgs ausgegeben werden. Das spricht dafür, dass ein Umdenken nicht stattgefunden hat.

          Müssen Manager - auch ihre Familien wollen schließlich ernährt werden - nicht hohe Gewinne anstreben, weil die Eigentümer sie sonst vor die Tür setzen?

          Genau das nenne ich „Sachzwangrhetorik“. Es ist doch seltsam: Dieselben Leute, die uns in Sonntagsreden weismachen wollen, dass der Markt der Inbegriff der Freiheit ist, reden ständig in diesem Modus des Müssens - irgendjemand, meist die anonyme Konkurrenz, zwinge sie zu diesem oder jenem.

          Aber dieser Wettbewerbsdruck ist doch nicht eingebildet.

          Das nicht, aber hinter den Sachzwängen stehen selbst gesetzte Denkzwänge! Es ist die Gewinnmaximierungsdoktrin selbst, die letztlich den Zwang zu rücksichtslosem Wirtschaften erzeugt. Von echten Führungskräften dürfen wir Bürger mehr erwarten.

          Nämlich?

          An die Spitze einflussreicher Unternehmen gehören Leute, die glaubwürdig sind, weil sie integer sind und ihr Wirtschaftsdenken nicht von ihrem Selbstverständnis als anständige Bürger abspalten.

          Was würden die besser machen?

          Sie würden niemals nur von Rendite reden, sondern immer zugleich von sich selbst verlangen, allen Anspruchsberechtigten, und damit nicht nur den Eigentümern, in fairer Weise zu dienen.

          Brauchen wir dafür nicht auch bessere Anreizstrukturen, die so ein Verhalten erst möglich machen?

          Das deterministische Denken in Anreizstrukturen ist selbst schon ein Problem. Gedanklich werden wir alle dadurch zu Marionetten degradiert. Dann bräuchte man keine teuren Führungskräfte, weil sie fast nichts mehr zu entscheiden und zu begründen hätten. So ist es natürlich nicht.

          Wie sonst?

          Unternehmen sind hoch elastische Gebilde. Führungskräfte können und sollen sehr wohl nach verantwortbaren Grundsätzen die Richtung bestimmen.

          Was bleibt dabei für die Politik übrig?

          Sie hat die Aufgabe, gesellschaftsdienliche Rahmenbedingungen zu gestalten.Dazu gehört zuerst, dass auch sie nicht mehr so technokratisch von der Wirtschaft denkt; hinter allen „Anreizstrukturen“ stehen ja bestimmte Ideen von dem, was gut und richtig ist...

          ...woraus folgt,...

          ...dass wir die Frage, wofür wirtschaftliches Handeln effizient sein soll, eben nicht mit rein ökonomischen Kategorien beantworten können. Das sollten lebenspraktische und gesellschaftliche Kriterien sein.

          Konkret: Wofür wirtschaften wir?

          Für ein gutes Leben in einer liberalen Gesellschaft, in der ein bunter Strauß an Lebensentwürfen aufblüht. Das Problem der existierenden Sachzwangstrukturen ist, dass sie die reale Freiheit der Bürger eher einschränken als erweitern. Unser Ziel sollte eine Gesellschaft sein, in der möglichst alle Bürger in realer Freiheit leben. Das Problem ist, dass der immer härtere marktwirtschaftliche Wettbewerb die reale Freiheit der Bürger zunehmend einschränkt, statt sie zu erweitern. Unser Ziel sollte eine Gesellschaft sein, in der möglichst alle Bürger in realer Freiheit leben. Dazu müssen wir zwischen Bürgerfreiheit und freiem Markt klar unterscheiden.

          Sind wir im Markt nicht frei? Wir können zwischen vielen Produkten und Ausbildungsgängen wählen.

          Die reale Freiheit besteht doch nicht nur in der Konsumfreiheit, sondern darin, ein selbstbestimmtes Leben führen zu können.

          Können wir so eine neue Wirtschaftsmentalität überhaupt hinbekommen?

          Bildung ist der Schlüssel. Wir brauchen eine umfassende Wirtschaftsbürgerkunde analog zur Staatsbürgerkunde. Es genügt nicht, nur die Funktionsprinzipien des marktwirtschaftlichen Systems zu kennen, ohne seine angemessene Rolle in einer wohlgeordneten Gesellschaft zu verstehen.

          Also gehört Wirtschaftsbürgerkunde ab der fünften Klasse auf den Stundenplan?

          Beispielsweise. Wenn ich als junger Mensch lerne, dass Konsum allein nicht die Erfüllung des Lebens ausmacht, dann will ich auch eine entsprechende Gesellschaftsordnung, in der nicht alles der ökonomischen Logik untergeordnet wird. Wer hingegen mehr Geld zu haben als Selbstzweck sieht, der fühlt sich natürlich bedroht, sobald die Politik versucht, hierauf Einfluss zu nehmen.

          Und was ist, wenn jemand tatsächlich bloß mehr Geld verdienen will?

          In einer pluralistischen, offenen Gesellschaft soll es den Einzelnen freigestellt sein, in ihrer Privatsphäre so geldorientiert zu denken wie sie wollen. Sie sollen nur nicht den Anderen zumuten dürfen, alles nach ihrer Lebensphilosophie ausrichten zu müssen. Das wäre ja genauso intolerant wie jeder religiöse Fundamentalismus.

          Zum Schluss zu Ihnen. Vor zwanzig Jahren haben Sie das Institut für Wirtschaftsethik in Sankt Gallen gegründet. Ist Ihre Botschaft angekommen?

          Ja, sie gewinnt sogar noch an Bedeutung. Vor zwanzig Jahren hat man oft den Satz des Satirikers Karl Kraus gehört, in dem ein Student zu seinem Professor kommt und sagt, er möchte gerne Wirtschaftsethik studieren, und der Professor erwidert: „Nun entscheiden Sie sich mal, junger Mann: das eine oder das andere?“ Davon sind wir heute zum Glück weit entfernt.

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